Agrarökologie, das Konzept der Zukunft?

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Die Umgestaltung der Landwirtschaft und der Ernährungssysteme ist ein wichtiges Element zur Umsetzung der von der UNO definierten Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDG) der Agenda 2030. Eine nachhaltige Landwirtschaft ist direkt oder indirekt notwendig, um alle 17 Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, insbesondere aber SDG 1 «Armut beenden», SDG 2 « Hunger beenden», SDG 12 «nachhaltiger Konsum und Produktion» sowie SDG 15 «nachhaltige Landökosysteme». Um die Notwendigkeit einer Umgestaltung zu verstehen, muss man sich die globalen Herausforderungen der Landwirtschaft vergegenwärtigen. Drei Herausforderungen und ihre Folgen stehen dabei im Vordergrund:

  • Mangelhafte Ernährung einer Mehrheit der Weltbevölkerung und 820 Millionen von Hunger betroffene Menschen – Ernährungsbedingte Erkrankungen als Folge von Mangelernährung
  • Ausbeutung von Boden, Wasser und Luft durch eine nicht nachhaltige Lebensmittel-produktion – Gravierender Verlust der Biodiversität
  • Landwirtschaft als wichtige Treiberin der weltweiten Zunahme der Treibhausgase – 23 % dieser Treibhausgase werden von der Landwirtschaft verursacht

Angesichts der aktuellen Situation und künftiger Entwicklungen ist eine grundlegende Änderung bei Produktion, Verarbeitung, Handel und Konsum von Lebensmitteln und gleichzeitig eine Verbesserung der Lebensgrundlagen der Bauern und allgemein der in der Landwirtschaft Tätigen notwendig. Es müssen Massnahmen ergriffen werden, um Lebensmittelabfälle zu reduzieren, das Essverhalten zu beeinflussen und den Wettbewerb zwischen Lebensmitteln, Futtermitteln und Kraftstoffen zu verringern. Innovationen und neue Technologien werden die effiziente Nutzung von Ressourcen, Arbeitskräften und Betriebsmitteln erhöhen, aber sie sollen auch dazu dienen, die Agrar- und Ernährungssysteme weltweit nachhaltiger zu gestalten.

Hier kommt die Agrarökologie ins Spiel. Ihr Potenzial sollte ein besonderer Schwerpunkt der Forschung und der politischen Interventionen werden. Die Agrarökologie erfordert eine andere Art der staatlichen Unterstützung, die über die Subventionierung bestimmter Bereiche hinausgeht. Genau diesen Ansatz hatte das AP22+, das im Herbst 2020 vom Parlament versenkte, neue Agrarprogramm der Schweiz.

Was bedeutet Agrarökologie?
Der heute auf internationaler Ebene verwendete Begriff Agrarökologie basiert auf 10 von der FAO (Welternährungsorganisation der UNO) festgelegten Elementen. Agrarökologische Systeme sind gekennzeichnet durch ökologische und soziale Merkmale (z.B. Diversität, Recycling, Teilen von Wissen, Miteinbezug von Ernährungstraditionen) und einem förderlichen politischen und wirtschaftlichen Umfeld (z.B. Kreislaufwirtschaft). Die Anwendung der Methoden der Agrarökologie führt zu nachhaltigen und widerstandsfähigen Nahrungsmittelproduktionssystemen, die Land- und Bodenqualität allmählich verbessern. Die Agrobiodiversität spielt eine zentrale Rolle: Viele agrarökologische Methoden basieren auf Agrobiodiversität und Agrarökologie stärkt ihrerseits die Biodiversität. Breit angelegte Studien haben gezeigt, dass Agrarökologie global gesehen betreffend Ernährungssicherung ein vergleichbares Niveau wie die konventionelle Landwirtschaft erreichen kann.

Eine Reihe von bereits bestehenden Bewirtschaftungssystemen kann als agrarökologisch eingestuft werden, so z.B. der biologische Landbau, die Agrarforstwirtschaft (Kombination von Bäumen oder Sträuchern mit Ackerkulturen und/oder Tierhaltung) und die Permakultur (basierend auf der Beobachtung und Nachahmung natürlicher Ökosysteme und Kreisläufe). Zahlreiche Landwirte wenden bereits die eine oder andere agrarökologische Methode an. Der biologische Landbau hat sich zu einem globalen Referenzkonzept entwickelt. Bedeutende Labels in der Schweiz sind IP-Suisse-Käfer, Bio-Knospe und Demeter. Gemeinsam haben alle diese Formen der Landwirtschaft, dass sie in klarem Kontrast (und meist auch Konflikt) zur konventionellen Landwirtschaft stehen.

Agrarökologie für die Welt
Das schweizerische nationale Komitee der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (CNS-FAO) hat ein Diskussionspapier veröffentlicht, wie die Agrarökologie eine Vielzahl geeigneter Lösungen beisteuern könnte:, neue Technologien und traditionelle Techniken, verbesserte Inputs und Outputs sowie die Anwendung einzigartiger lokal abgestimmter, wissensbasierter Praktiken – nicht nur beim Anbau, sondern auch bei der Verarbeitung und Vermarktung von Lebensmitteln, schreibt das Komitee. Durch die Kombination aus umweltfreundlicherer Landwirtschaft, reduziertem Konsum von mit Kraftfutter gefütterten Tieren und Produkten daraus und geringerer Lebensmittelverschwendung kann ein Kompromiss zwischen Produktion und ökologischer Stabilität gefunden werden.

In der aktuellen landwirtschaftlichen Forschung stehen mehrheitlich Fragen der Zucht und Steigerung der Effizienz in der landwirtschaftlichen Produktion und nicht Ernährungssysteme im Zentrum des Interesses. Zur Förderung von agrarökologischer Forschung müssen genügend finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden. Zudem sollte die öffentliche Hand agrarökologisch orientierte Ausbildungen unterstützen.

Agrarökologie in der Schweiz
Rein konventionelle Landwirtschaftsbetriebe erfüllen lediglich die staatlichen ökologischen Minimalvorgaben, welche zur Direktzahlungsberechtigung eines Betriebes führen. Agrarökologisch produzierende Bäuerinnen und Bauern hingegen erfüllen zusätzliche Auflagen mit dem Ziel, der Natur aus ökologischer und den Menschen aus gesundheitlicher Sicht positiv zu dienen. Viele Einzelhaushalte und nahezu die ganze Gastronomie beziehen ihre Lebensmittel aus dem konventionellen Sektor aus dem In- und Ausland. Dies vor allem wegen des günstigeren Preises. Diese Einzelhaushalte und die meisten Gastrokonsumenten erschweren also die Marktentwicklung für Nahrungsmittel, welche aus agrarökologischer Sicht zu bevorzugen wären. Die Ausdehnung einer ökologischen Landwirtschaft kann nur nachhaltig erfolgen, wenn die erzeugten Label-Produkte am Markt auch abgesetzt werden können.

Um dieser Nachfrage Schub zu verleihen, wird die UFS die Regierung des Kantons St.Gallen mittels Interpellation dazu auffordern, ihre Vorreiterrolle wahrzunehmen und bei staatlichen bzw. staatsnahen Verpflegungsstätten die Verwendung von mit anerkannten Labeln produzierten Lebensmitteln und das Angebot von vegetarischen Menüs markant zu erhöhen. Ausserdem sollen das Zubereiten von vegetarischen Menüs und der Umgang mit nachhaltig produzierten Lebensmitteln fester Bestandteil bei Aus- und Weiterbildung von Köchinnen und Köchen sein.

Auf label.info finden Sie Informationen und Bewertungen zu verschiedensten Labels.

Agrarökologische Systeme nutzen natürliche Ressourcen nachhaltiger und effizienter und reduzieren die Freisetzung von Chemikalien in Luft, Wasser und Boden. Durch die grössere Nähe zwischen Produzenten und Konsumenten trägt die Agrarökologie dazu bei, das Bewusstsein zu schärfen und die Lebensmittelverschwendung zu verringern, z. B. durch Umverteilung nicht nutzbarer pflanzlicher Erzeugnisse oder durch die Wiederverwendung von organischen Siedlungsabfällen als Dünger. Die Agrarökologie legt grossen Wert auf die Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit und der Ökosystemdienstleistungen, die die langfristige Produktivität des Bodens verbessern können. Da die landwirtschaftliche Vielfalt in der ökologischen und agrarökologischen Landwirtschaft höher ist, kann die Biodiversität in den Agrarökosystemen erhalten und möglicherweise wiederhergestellt werden.

Das Diskussionspapier des FAO-Komitees ist auf der Seite des Bundesamtes für Landwirtschaft zu finden.

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